Eine Meereswanderung.
Unterwegs mit dem Ruderboot zwischen Ägäis und Mittelmeer.
Am Weg zum Hafen kaufte ich Mandeln. Erst später erfuhr ich, dass Mandeln aus Datça eine regionale Delikatesse sind. Datça, auf der gleichnamigen Halbinsel gelegen, ist jene Stadt, in der ich meinen Freund Ihsan und dessen Freund Tom traf, um mit ihnen entlang der türkischen Südküste zu rudern. Ihsan ist Türke und lebt seit fast 30 Jahren als Freelance-Architekt in Linz. Alle 10 Jahre unternimmt er eine mehrwöchige Ruderreise in seiner Heimat. Diesmal mit einem speziell für diesen Zweck gebauten Ruderboot und diesmal mit mir als Gast einer Reise-Etappe.
Ihsan Mehmet Banabak
Das Boot, das ich bei meiner Ankunft im Hafen schon von weitem an seiner dunkelblauen Farbe und an der knallroten, etwas schief montierten Türkei-Fahne am Segelmast erkannte, fasst gerade Platz für drei Personen und etwas Gepäck. Meines bestand aus einem Rucksack inklusive Flossen und Taucherbrille. Ihsan´s Boot ist nur 4,30 Meter lang, hat keinen Motor aber dafür 2 Paar Ruderblätter (ein Paar in Reserve) sowie ein kleines Segel. Und wie jedes Boot hat auch dieses einen Namen: Gönül Meltemi, was soviel wie die „Seele des Meltemi-Windes“ bedeutet. Der Meltemi ist der Wind der Sommermonate in der Ägäis, ein Schönwetterwind, der aus Richtung West bis Nordwest weht. Im Sommer ist das angenehm kühl.
Am Morgen des 20. Juni ging es los, wir verließen den Hafen. Ein erhebendes Gefühl, endlich auf dem Boot. Mit der Entfernung vom Land schien ich alles weit zurück zu lassen, was mich in den letzten Wochen und Monaten an beruflichem Stress belastete. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich mit so einem kleinen Boot auf dem Meer. Ich wusste nicht ob ich wirklich seetauglich war, aber von Seekrankheit war keine Spur, im Gegenteil, ich genoss Welle für Welle.
Schnell kamen wir nicht voran und ich musste mich an völlig neue Zeiteinheiten gewöhnen. Hier ging es nicht um Minuten, die man etwa für die Beantwortung eines Emails braucht. Auch nicht um eine viertel oder halbe Stunde als Zeitmaß für eine Präsentation. Bei der Frage an Kapitän Ihsan wie weit es denn zu dem vor uns gut sichtbaren Küstenstreifen sei, bekam ich lapidar als Antwort: „Vier bis fünf Stunden ungefähr“.
Das Boot „Gönül Meltemi“ im abendlichen Hafen von Datça
Hinter uns, beinahe noch greifbar, der von Skippern beliebte Hafen. Wie ein Finger ragt die knapp 100 km lange Datça-Halbinsel westlich von Marmaris ins Meer und teilt es an dieser Stelle in den nördlichen Teil, die Ägäis und in den südlichen, das Mittelmeer. Das ehemalige kleine Fischerdorf ist mittlerweile auf eine 10.000 Einwohnerstadt gewachsen aber blieb bisher vom Massentourismus halbwegs verschont. Mandeln, Oliven, Honig und Fisch zählen – neben vielen anderen türkischen Spezialitäten – zu den kulinarischen Köstlichkeiten der Region. Die Mandeln aus Datça sind berühmt, weil sie in einem speziellen Verfahren geröstet werden und besonders geschmackvoll sind.
Magisch: Rudern in der Nacht
Meistens ruderten wir, nur manchmal, wenn passender Wind war, setzten wir das Segel. Wir ruderten auch in der Nacht, weil das Meer an manchen Passagen wesentlich ruhiger war als tagsüber. Das war besonders spannend und „magisch“, wie Ihsan immer zu sagen pflegt. Über uns die Milchstraße, leuchtend hell. Der Nordstern war immer klar zu sehen und erwies sich als sehr gutes Orientierungsmittel. Aber auch so sah ich in der Nacht mehr als ich mir zuvor vorstellen konnte. Die schwarze Silhouette des Ufers - wir fuhren zur Sicherheit meist in Ufernähe - hob sich vor dem schwarzblauen Sternenhimmel deutlich ab. Weit im Süden sah man den Lichtschein der griechischen Insel Rhodos. Wenn starker Seegang war und man die Wellen mehr spürte als sie sehen konnte, war das Rudern wie ein Tanz mit den Wellen.
In die Nacht hineinrudern und manchmal aus der Nacht in den beginnenden Tag.
Nach einer 9-stündigen Fahrt mit teilweise Segelunterstützung erreichten wir die kleine Hafenstadt Bozpurun, den noch einzigen Bauort der traditionellen Gulets. Das sind aus Holz gefertigte, dickbauchige, meist zweimastige Motor-Segler der türkischen Küste, großteils für touristische Zwecke im Einsatz. Einer dieser Gulets wird uns am nächsten Tag nach hartem Kampf gegen Wind und Wellen am Kap Karaburun ein Stück abschleppen. Es war das zweite Schiff, das nach Ihsan´s Handzeichen anhielt. So umschifften wir im Schlepptau das widerborstige Kap, das unseren Ruderschlägen trotze und einfach nicht näher kommen wollte.
Tags zuvor jedoch genossen wir Meeresbarsch (Levrek) mit frischem Rosmarin im erstbesten Fischrestaurant des Hafens von Bozpurun. Der Wirt des Restaurants „Möwe“, der 15 Jahre in München verbrachte, nachdem er als Linksaktivist seine Heimat Türkei verlassen musste, ist nicht nur ambitionierter Koch, sondern auch Vermieter einer beschaulichen Ferienwohnung mit Blick über die Bozpurun-Bucht. Die geniale Lage und die große Terrasse mit Divan entschädigte für das etwas vernachlässigte mit Che Guevara-Poster dekorierte Innere der Wohnung. Am nächsten Morgen vor der Abreise noch im Café Ad Astra mit Menemen, der traditionellen türkischen Eierspeise (u.a. mit Tomaten und grünem Paprika) gestärkt, vom angrenzenden Barbier auf Topform rasiert, frisiert und massiert - das Ganze mit Meeresblick versteht sich - ging es weiter Richtung Bozzukale (zerbrochene Burg).
Nach dem oben erwähnten kurzen Sea-Hitch-Hiking mussten wir unsere Schlafsäcke auf dem Geländer der Restaurant-Terrasse in der Bozzukale-Bucht trocknen lassen. Durch die rasante Fahrt im Schlepptau des Gulets schöpfte unser Boot nämlich eine Menge Wasser. Als wir es bis zu den Knöcheln spürten, schrien und gestikulierten wir der Besatzung unseres Schleppers, dass sie langsamer fahren sollen. Aber da es der Kapitän anscheinend eiliger hatte als wir, ließen sie uns wieder vom Seil. Unser heutiges Etappenziel war ohnehin schon sehr nahe. Das Restaurant „Ali Baba“ oder besser gesagt die Pfahlbau-Busch-Kneipe mit Steg, unterhalb der Ruinen einer byzantinischen Festungsmauer gelegen, wurde dem felsigen Ufer abgetrotzt. Die Burg, die zu den Mauern gehörte, war einst Ausgangspunkt von Kreuzrittern am Weg nach Jerusalem. Im Ali Baba spürten wir hautnah die osmanische Kultur der Gastfreundschaft, die im Vorderen Orient groß geschrieben wird und allerorts in der Türkei zu finden ist. Es gibt ein türkisches Sprichwort das lautet: "Du kommst als Fremder und gehst als Freund". Wir kamen als müde und durchnässte Ruderer und durften nach dem Abendessen die Restaurant-Terrasse gleich auch als Schlafstätte nutzen. Der Kellner hat uns dies angeboten und der Wirt selbst war uns sogar beim Ausbreiten der Sesselkissen als Unterlage behilflich. Ein anderes schönes Beispiel der Gastfreundschaft war, als uns auf offener See jemand in einem Motorboot Kaffee brachte. Denn es stellt sich nach einem kurzen Gespräch heraus, dass der Kapitän einer Yacht, dessen Crew unsere Fahrt schon seit ein paar Tagen verfolgte, einen gemeinsamen Bekannten mit Ihsan hatte. Grund genug uns zu bewirten. Es gab viele solcher Beispiele, Gesten der Gastfreundschaft. Wahrscheinlich half uns der Nimbus des Abenteurertums, der uns ob des Fehlens jeglicher Motorisierung umwehte und die Verwunderung in diesem Zusammenhang beim Anblick der körperlichen Verfassung unserer Crew. Ihsan ausgenommen, dem mit seiner drahtigen Figur durchaus ausdauerndes Ruderschlagen zuzutrauen war.
Kapitän Ihsan und Gerald Harringer
Apropos wundern: In Ciftlik, unserem nächsten Etappenziel traffen wir Skipper, die uns schon zuvor in Bozpurun gesehen haben und die sich wunderten, dass wir genauso schnell vorankämen wie sie mit ihrem Motorsegler. Das lag wohl daran, dass wir den Großteil des Tages mit Rudern am Meer verbrachten und nach bis zu 10 Stunden Fahrt erst in Buchten oder Häfen kamen, in den die Skipper schon stundenlang in der Sonne lagen oder sich den Bauch in diversen Restaurants vollgeschlagen haben. Aber es gab auch Pausen. In Ciftlik zum Beispiel legten wir einen Pausetag ein und nützten die Gelegenheit zum Restwasserschöpfen und Boot-Reinemachen.
In der folgenden Nacht ging es nach dem EM-Fußballspiel Italien-England und einem Glas Rize-Chai, den Ihsan im Boot auf einem Gaskocher zubereitete, wieder hinaus aus der Bucht. Rize ist die nordosttürkische Stadt und gleichnamige Provinz, aus der Ihsans Eltern und eben der berühmte Rize-Chai stammen. Immerhin wird 6 % der Weltteeproduktion aus diesem Gebiet erzielt. Auch eine ganze Reihe anderer in der Türkei tonangebender Menschen haben ihre Wurzeln in Rize.
Die Nacht ließ uns vorerst bei fast spiegelglatter See gut vorankommen, dann aber wurde es bei einem Kap verdammt windig und Ihsan beschloss, in der nächsten Bucht zu ankern und doch den Morgen abzuwarten, da sich bei Sonnenaufgang die Nachtwinde meist legen. Dem war auch so. Wie angenehm einen erfahrenen Kapitän und Ruderer zu haben, nicht denken oder entscheiden zu müssen! Einfach rudern und im Rudern nur sein zu müssen, keine Ampeln die auf rot gehen, keine Regeln befolgen müssen außer jene, die Wind und Wellen vorgeben. Nach durchschnittlich 6 Stunden Fahrt pro Tag war ich aber dann doch immer wieder froh an Land zu kommen. Allein aufgrund der starken Sonnenstrahlung, die ich ohne Sonnenhut nicht ausgehalten hätte.
Aber schon am nächsten Morgen konnten wir es kaum erwarten, wieder vom Ufer abzulegen, hinaus aufs Meer zu rudern, langsam, im Schrittempo, Meter für Meter. Und doch legte ich insgesamt 190 km zurück. Ishan war eindeutig der konditionsstärkere Ruderer, er konnte stundenlang rudern. Aber es war auch großartig einfach nur am Boot zu sitzen, ohne zu Reden ins azurblaue Wasser, auf die Wellen zu schauen, die Sonne zu genießen, den kühlenden Meltemi-Wind im Gesicht und manchmal auch im Segel zu spüren.
Reisebericht von Gerald Harringer
Am Weg zum Hafen kaufte ich Mandeln. Erst später erfuhr ich, dass Mandeln aus Datça eine regionale Delikatesse sind. Datça, auf der gleichnamigen Halbinsel gelegen, ist jene Stadt, in der ich meinen Freund Ihsan und dessen Freund Tom traf, um mit ihnen entlang der türkischen Südküste zu rudern. Ihsan ist Türke und lebt seit fast 30 Jahren als Freelance-Architekt in Linz. Alle 10 Jahre unternimmt er eine mehrwöchige Ruderreise in seiner Heimat. Diesmal mit einem speziell für diesen Zweck gebauten Ruderboot und diesmal mit mir als Gast einer Reise-Etappe.
Ihsan Mehmet Banabak
Das Boot, das ich bei meiner Ankunft im Hafen schon von weitem an seiner dunkelblauen Farbe und an der knallroten, etwas schief montierten Türkei-Fahne am Segelmast erkannte, fasst gerade Platz für drei Personen und etwas Gepäck. Meines bestand aus einem Rucksack inklusive Flossen und Taucherbrille. Ihsan´s Boot ist nur 4,30 Meter lang, hat keinen Motor aber dafür 2 Paar Ruderblätter (ein Paar in Reserve) sowie ein kleines Segel. Und wie jedes Boot hat auch dieses einen Namen: Gönül Meltemi, was soviel wie die „Seele des Meltemi-Windes“ bedeutet. Der Meltemi ist der Wind der Sommermonate in der Ägäis, ein Schönwetterwind, der aus Richtung West bis Nordwest weht. Im Sommer ist das angenehm kühl.
Am Morgen des 20. Juni ging es los, wir verließen den Hafen. Ein erhebendes Gefühl, endlich auf dem Boot. Mit der Entfernung vom Land schien ich alles weit zurück zu lassen, was mich in den letzten Wochen und Monaten an beruflichem Stress belastete. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich mit so einem kleinen Boot auf dem Meer. Ich wusste nicht ob ich wirklich seetauglich war, aber von Seekrankheit war keine Spur, im Gegenteil, ich genoss Welle für Welle.
Schnell kamen wir nicht voran und ich musste mich an völlig neue Zeiteinheiten gewöhnen. Hier ging es nicht um Minuten, die man etwa für die Beantwortung eines Emails braucht. Auch nicht um eine viertel oder halbe Stunde als Zeitmaß für eine Präsentation. Bei der Frage an Kapitän Ihsan wie weit es denn zu dem vor uns gut sichtbaren Küstenstreifen sei, bekam ich lapidar als Antwort: „Vier bis fünf Stunden ungefähr“.
Das Boot „Gönül Meltemi“ im abendlichen Hafen von Datça
Hinter uns, beinahe noch greifbar, der von Skippern beliebte Hafen. Wie ein Finger ragt die knapp 100 km lange Datça-Halbinsel westlich von Marmaris ins Meer und teilt es an dieser Stelle in den nördlichen Teil, die Ägäis und in den südlichen, das Mittelmeer. Das ehemalige kleine Fischerdorf ist mittlerweile auf eine 10.000 Einwohnerstadt gewachsen aber blieb bisher vom Massentourismus halbwegs verschont. Mandeln, Oliven, Honig und Fisch zählen – neben vielen anderen türkischen Spezialitäten – zu den kulinarischen Köstlichkeiten der Region. Die Mandeln aus Datça sind berühmt, weil sie in einem speziellen Verfahren geröstet werden und besonders geschmackvoll sind.
Magisch: Rudern in der Nacht
Meistens ruderten wir, nur manchmal, wenn passender Wind war, setzten wir das Segel. Wir ruderten auch in der Nacht, weil das Meer an manchen Passagen wesentlich ruhiger war als tagsüber. Das war besonders spannend und „magisch“, wie Ihsan immer zu sagen pflegt. Über uns die Milchstraße, leuchtend hell. Der Nordstern war immer klar zu sehen und erwies sich als sehr gutes Orientierungsmittel. Aber auch so sah ich in der Nacht mehr als ich mir zuvor vorstellen konnte. Die schwarze Silhouette des Ufers - wir fuhren zur Sicherheit meist in Ufernähe - hob sich vor dem schwarzblauen Sternenhimmel deutlich ab. Weit im Süden sah man den Lichtschein der griechischen Insel Rhodos. Wenn starker Seegang war und man die Wellen mehr spürte als sie sehen konnte, war das Rudern wie ein Tanz mit den Wellen.
In die Nacht hineinrudern und manchmal aus der Nacht in den beginnenden Tag.
Nach einer 9-stündigen Fahrt mit teilweise Segelunterstützung erreichten wir die kleine Hafenstadt Bozpurun, den noch einzigen Bauort der traditionellen Gulets. Das sind aus Holz gefertigte, dickbauchige, meist zweimastige Motor-Segler der türkischen Küste, großteils für touristische Zwecke im Einsatz. Einer dieser Gulets wird uns am nächsten Tag nach hartem Kampf gegen Wind und Wellen am Kap Karaburun ein Stück abschleppen. Es war das zweite Schiff, das nach Ihsan´s Handzeichen anhielt. So umschifften wir im Schlepptau das widerborstige Kap, das unseren Ruderschlägen trotze und einfach nicht näher kommen wollte.
Tags zuvor jedoch genossen wir Meeresbarsch (Levrek) mit frischem Rosmarin im erstbesten Fischrestaurant des Hafens von Bozpurun. Der Wirt des Restaurants „Möwe“, der 15 Jahre in München verbrachte, nachdem er als Linksaktivist seine Heimat Türkei verlassen musste, ist nicht nur ambitionierter Koch, sondern auch Vermieter einer beschaulichen Ferienwohnung mit Blick über die Bozpurun-Bucht. Die geniale Lage und die große Terrasse mit Divan entschädigte für das etwas vernachlässigte mit Che Guevara-Poster dekorierte Innere der Wohnung. Am nächsten Morgen vor der Abreise noch im Café Ad Astra mit Menemen, der traditionellen türkischen Eierspeise (u.a. mit Tomaten und grünem Paprika) gestärkt, vom angrenzenden Barbier auf Topform rasiert, frisiert und massiert - das Ganze mit Meeresblick versteht sich - ging es weiter Richtung Bozzukale (zerbrochene Burg).
Nach dem oben erwähnten kurzen Sea-Hitch-Hiking mussten wir unsere Schlafsäcke auf dem Geländer der Restaurant-Terrasse in der Bozzukale-Bucht trocknen lassen. Durch die rasante Fahrt im Schlepptau des Gulets schöpfte unser Boot nämlich eine Menge Wasser. Als wir es bis zu den Knöcheln spürten, schrien und gestikulierten wir der Besatzung unseres Schleppers, dass sie langsamer fahren sollen. Aber da es der Kapitän anscheinend eiliger hatte als wir, ließen sie uns wieder vom Seil. Unser heutiges Etappenziel war ohnehin schon sehr nahe. Das Restaurant „Ali Baba“ oder besser gesagt die Pfahlbau-Busch-Kneipe mit Steg, unterhalb der Ruinen einer byzantinischen Festungsmauer gelegen, wurde dem felsigen Ufer abgetrotzt. Die Burg, die zu den Mauern gehörte, war einst Ausgangspunkt von Kreuzrittern am Weg nach Jerusalem. Im Ali Baba spürten wir hautnah die osmanische Kultur der Gastfreundschaft, die im Vorderen Orient groß geschrieben wird und allerorts in der Türkei zu finden ist. Es gibt ein türkisches Sprichwort das lautet: "Du kommst als Fremder und gehst als Freund". Wir kamen als müde und durchnässte Ruderer und durften nach dem Abendessen die Restaurant-Terrasse gleich auch als Schlafstätte nutzen. Der Kellner hat uns dies angeboten und der Wirt selbst war uns sogar beim Ausbreiten der Sesselkissen als Unterlage behilflich. Ein anderes schönes Beispiel der Gastfreundschaft war, als uns auf offener See jemand in einem Motorboot Kaffee brachte. Denn es stellt sich nach einem kurzen Gespräch heraus, dass der Kapitän einer Yacht, dessen Crew unsere Fahrt schon seit ein paar Tagen verfolgte, einen gemeinsamen Bekannten mit Ihsan hatte. Grund genug uns zu bewirten. Es gab viele solcher Beispiele, Gesten der Gastfreundschaft. Wahrscheinlich half uns der Nimbus des Abenteurertums, der uns ob des Fehlens jeglicher Motorisierung umwehte und die Verwunderung in diesem Zusammenhang beim Anblick der körperlichen Verfassung unserer Crew. Ihsan ausgenommen, dem mit seiner drahtigen Figur durchaus ausdauerndes Ruderschlagen zuzutrauen war.
Kapitän Ihsan und Gerald Harringer
Apropos wundern: In Ciftlik, unserem nächsten Etappenziel traffen wir Skipper, die uns schon zuvor in Bozpurun gesehen haben und die sich wunderten, dass wir genauso schnell vorankämen wie sie mit ihrem Motorsegler. Das lag wohl daran, dass wir den Großteil des Tages mit Rudern am Meer verbrachten und nach bis zu 10 Stunden Fahrt erst in Buchten oder Häfen kamen, in den die Skipper schon stundenlang in der Sonne lagen oder sich den Bauch in diversen Restaurants vollgeschlagen haben. Aber es gab auch Pausen. In Ciftlik zum Beispiel legten wir einen Pausetag ein und nützten die Gelegenheit zum Restwasserschöpfen und Boot-Reinemachen.
In der folgenden Nacht ging es nach dem EM-Fußballspiel Italien-England und einem Glas Rize-Chai, den Ihsan im Boot auf einem Gaskocher zubereitete, wieder hinaus aus der Bucht. Rize ist die nordosttürkische Stadt und gleichnamige Provinz, aus der Ihsans Eltern und eben der berühmte Rize-Chai stammen. Immerhin wird 6 % der Weltteeproduktion aus diesem Gebiet erzielt. Auch eine ganze Reihe anderer in der Türkei tonangebender Menschen haben ihre Wurzeln in Rize.
Die Nacht ließ uns vorerst bei fast spiegelglatter See gut vorankommen, dann aber wurde es bei einem Kap verdammt windig und Ihsan beschloss, in der nächsten Bucht zu ankern und doch den Morgen abzuwarten, da sich bei Sonnenaufgang die Nachtwinde meist legen. Dem war auch so. Wie angenehm einen erfahrenen Kapitän und Ruderer zu haben, nicht denken oder entscheiden zu müssen! Einfach rudern und im Rudern nur sein zu müssen, keine Ampeln die auf rot gehen, keine Regeln befolgen müssen außer jene, die Wind und Wellen vorgeben. Nach durchschnittlich 6 Stunden Fahrt pro Tag war ich aber dann doch immer wieder froh an Land zu kommen. Allein aufgrund der starken Sonnenstrahlung, die ich ohne Sonnenhut nicht ausgehalten hätte.
Aber schon am nächsten Morgen konnten wir es kaum erwarten, wieder vom Ufer abzulegen, hinaus aufs Meer zu rudern, langsam, im Schrittempo, Meter für Meter. Und doch legte ich insgesamt 190 km zurück. Ishan war eindeutig der konditionsstärkere Ruderer, er konnte stundenlang rudern. Aber es war auch großartig einfach nur am Boot zu sitzen, ohne zu Reden ins azurblaue Wasser, auf die Wellen zu schauen, die Sonne zu genießen, den kühlenden Meltemi-Wind im Gesicht und manchmal auch im Segel zu spüren.
Reisebericht von Gerald Harringer
Harringer - 9. Nov, 10:32